„Bouillon République“, „Bouillon Julien“, „Bouillon Pharamond“: Die preisgünstigen Jugendstil-Restaurants, in denen Franzosen ihre „œuf mayonnaise“ essen und ausländische Touristen die traditionellen französische Küche entdecken, haben sich in den letzten Jahren in Paris vervielfacht. Eine Wiederbelebung, die auf eine lange Geschichte verweist.
Rue du faubourg-Saint-Denis im zehnten Arrondissement. In der Nähe der großen Boulevards mit ihrem Nachtleben, zwischen kleinen türkischen Geschäften und hippen Cafés, sticht eine Fassade besonders hervor, nämlich die der „Bouillon Julien“, die 2018 ihre Türen geöffnet hat. Auf der Speisekarte stehen Klassiker der französischen Küche wie Tête de veau (Kalbskopf) oder Boeuf Bourguignon. Kein Paradies für Vegetarier, aber ein Slogan, der lockt: „Hier ist alles gut, schön und günstig!“
Um dieses Versprechen zu halten, setzt das Restaurant auf Volumen und Schnelligkeit. Die Gerichte werden im Voraus zubereitet, die Preise so knapp wie möglich kalkuliert und die Tische stehen dicht an dicht. „Im Durchschnitt schaffen wir 500 bis 600 Gedecke pro Tag, und können auf 900 hochgehen“, erklärt uns der Leiter des Lokals, Sacit Celaloğlu, der selbst die Gäste empfängt und bedient. Insgesamt arbeiten rund 60 Personen in der „Bouillon Julien“, und das an sieben Tage der Woche durchgehend von 11:45 Uhr bis Mitternacht – am Wochenende sogar bis 1 oder 2 Uhr nachts.
Obwohl das Restaurant in diesem Jahr erst sein fünfjähriges Bestehen feiert, blickt es auf eine lange Geschichte zurück. Einst eine Brasserie, hat sich die „Bouillon Julien“ die denkmalgeschützte Dekoration aus geschwungenen Linien, großen Spiegeln und Blumenmustern beibehalten. Der Ort ist aber nicht nur für sein Essen und das Ambiente, sondern auch für die Persönlichkeiten bekannt, die ihn in der Vergangenheit besucht haben. Fragt man beispielsweise nach Tisch Nr. 24 antwortet Sacit Celaloğlu: „Das war der Tisch der Sängerin Edith Piaf!“ Ihr Lebensgefährte, der Boxer Marcel Cerdan, trainierte direkt gegenüber. Nach dem Training traf er sich mit der Piaf im Restaurant. „Heute wollen praktisch jeden Abend französische oder ausländische Gäste an diesem Tisch essen.“
Von dieser Anekdote abgesehen blicken auch die Bouillons selbst auf eine lange Geschichte zurück. Um über diese zu sprechen, haben wir uns mit dem Historiker Patrick Rambourg in der „Bouillon République“ getroffen. Mit ihm sind wir ins 19. Jahrhundert eingetaucht, als Paris „die Hauptstadt der Gastronomie“ war und Les Halles noch kein riesiges Einkaufszentrum, sondern den Großmarkt der Stadt beherbergte. Darüber schrieb sogar schon Émile Zola in seinem Buch „Le ventre de Paris“ („Der Bauch von Paris“).
„In den 1850er Jahren betrieb Adolphe-Baptiste Duval eine der renommiertesten Metzgereien der Stadt. Er verkaufte seiner reichen Kundschaft die besten Stücke, blieb aber auf den weniger Guten sitzen. Also kam er auf die Idee, bei Les Halles ein Lokal zu eröffnen, in dem er eben diese Fleischstücke gekocht verkaufen konnte“, erzählt Patrick Rambourg. „Seine Kundschaft bestand hauptsächlich aus den Arbeitern, die die Hauptstadt am Leben hielten, aber mittags nicht zum Essen nach Hause gehen konnten“, fährt der Historiker fort.
Die erste Bouillon wurde in der Rue de la Monnaie eröffnet und war „ein Riesenerfolg“. In der Folge machten weitere Restaurants auf und 1867 gründete Adolphe-Baptiste Duval die „Compagnie des établissements Duval“. „Diese sollte wie eine echte Restaurantkette funktionieren“, betont Rambourg. „Eine Art Großhandel mit eigener Metzgerei, Bäckerei und Wäscherei, um die Ausgaben zu begrenzen.“ 1880 leitete Adolphe-Baptiste Duval etwa 15 Restaurants in Paris und auch in anderen französischen Städten entstanden Bouillons.
Die „Bouillons Duval“ waren zwar für eine eher bescheidene Kundschaft bestimmt, sparten aber nicht an der Dekoration, die vom Jugendstil der damaligen Zeit beeinflusst war. „Die Bouillons wurden wie große Restaurants dekoriert: Es gab Statuen, Pilastersäulen, Stuck überall, Spiegel und spezielle Leuchten. Das hat wesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen“, erklärt Patrick Rambourg.
Immer mehr Schriftsteller, Sänger und Künstler der Zeit sprachen in ihrer Arbeit über die „Bouillons Duval“, die sich dadurch nach und nach einer breiteren Klientel öffneten. „Plötzlich war es ,schick‘, in eine Bouillon zu gehen“, sagt der Historiker und zählt die neuen Produkte auf, die fortan auf der Tageskarte ihren Platz fanden: „Man bekam Austern oder Foie gras, aber immer nur in kleineren Mengen als in anderen Restaurants, um die Preise zu halten.“
Angesichts des Erfolgs des Unternehmens Duval stürzten sich auch andere in das Abenteuer Bouillon, so wie die Familien Boulant und Chartier. „Das Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war voll von Bouillons. Man fand sie überall in der Hauptstadt“, erklärt Patrick Rambourg. Dennoch gibt es heute kaum noch Spuren davon. Die Etablissements Duval sind bereits Anfang des 20. Jahrhunderts vollständig verschwunden, nur die Familie Chartier konnte einige ihrer Bouillons bis heute erhalten. Andere haben sich weiterentwickelt und richten sich wie die „Bouillon Racine“ oder die „Brasserie Vagenende“ nun an eine sehr privilegierte Klientel.
Die Wiederbelebung der Bouillons in den letzten Jahren hat ihre Wurzeln in dieser Geschichte der Pariser Gastronomie, über die Patrick Rambourg derzeit ein neues Buch schreibt. „Die historische Bouillon neu zu beleben und sie in unsere heutige Gesellschaft zu integrieren, indem man es schafft, eine junge Kundschaft anzuziehen, wie ich es in der ,Bouillon Pigalle‘ erlebt habe, finde ich fabelhaft! Ich hoffe, dass es zukünftig noch mehr Bouillons geben wird.“ Und wir auch!