Kino-Stadt Paris: „Ein Filmfestival ohne Ende“

Sechs Monate, um 600.000 Euro aufzubringen. Auch wenn die Herausforderung groß erscheinen mag, handelt es sich dabei nur um die letzten 20 Prozent eines Marathons, der vor mehreren Jahren begonnen hat. Im Visier: Der Kauf und die Wiedereröffnung von La Clef, einem historischen Kino in Paris. Nach dreijähriger Besetzung der Räumlichkeiten durch ein Kollektiv von Filmliebhabern, das im März 2022 von der Polizei aus den Räumlichkeiten vertrieben wurde, ist am vergangenen Mittwoch offiziell der Kaufvertrag mit dem Eigentümer für 3,1 Millionen Euro unterzeichnet worden. Mit der Hilfe großer Schauspieler und Regisseure wie Martin Scorsese sind Privatpersonen und Mäzene aufgerufen, das Abenteuer weiter zu unterstützen.

In der Rue Daubenton, unweit der Pariser Moschee, der Rue Mouffetard und des Jardin des Plantes, öffnete La Clef 1969 seine Türen und bot seine Leinwände einem militanten Kino und Filmen aus dem Ausland an. 1981 wurde es an den Betriebsrat einer Bank verkauft und spielte in den 1990er-Jahren eine wichtige Rolle bei der Anerkennung von Filmen vom afrikanischen Kontinent. Zuletzt war das Kino durch einen möglichen Verkauf an die SOS-Gruppe bedroht, die sich zwar im Bereich der Wohlfahrt engagiert, aber für seine umstrittenen Methoden kritisiert wird.

La Clef: Ein Kino für alle © Ausparis.de
La Clef: Ein Kino für alle © Ausparis.de

Ist die Mobilisierung für La Clef erfolgreich, wäre dies auch ein positives Zeichen für andere Filmtheater wie das symbolträchtige Luminor im Marais, das seinerseits bedroht ist. Diese Kämpfe zeigen nicht nur, wie schwierig das Überleben für kleine Kinos ist, sondern auch, wie sehr viele Pariser an ihnen hängen. Die hohen Erwartungen an die für 2024 geplante Wiedereröffnung des Kinos La Pagode im 7. Arrondissement – der Nachbildung einer japanischen Pagode aus dem 19. Jahrhundert mit Deckenfresken und geschnitzten Tierköpfen an den Pilastern – sind ebenfalls ein Beweis dafür.

Paris: Die „Welthauptstadt des Kinos“

Mit fast 90 Kinos, die über die ganze Stadt verteilt sind und insgesamt mehr als 385 Leinwände bieten, haben cinephile Pariser alle Möglichkeiten, sich auszuleben. „Paris ist weltweit bei Weitem die Stadt mit dem größten und vielfältigsten Angebot, ich würde sogar sagen, dem Reichhaltigsten. Es gibt nirgendwo sonst etwas Vergleichbares“, betont der Journalist Jean-Michel Frodon, langjähriger Filmkritiker der Zeitung „Le Monde“ und Redaktionsleiter der renommierten „Cahiers du cinéma“, gegenüber Aus Paris.

© gallica.bnf.fr/BnF
Das Kino Gaumont Palace wurde 1973 abgerissen © gallica.bnf.fr/BnF

Obwohl die Stadt seither den Titel „Welthauptstadt des Kinos“ für sich beansprucht, ist diese Dynamik noch nicht im Bewusstsein der großen Touristenströme zu finden. Dabei kann man zwischen dem Palais Grand Rex, dem innovativen Max Linder Panorama, dem diskreten Epée de Bois, dem Luxor mit seinem ägyptischen Dekor und dem Escurial mit seiner typischen Fassade aus den 50er-Jahren auf originelle Weise auf eine Entdeckungsreise durch die Geschichte und Geografie von Paris gehen. „Historisch gesehen konzentrierten sich die Kinos lange Zeit auf die Champs Elysées und die Grands Boulevards. Später entwickelten sie sich dann im Quartier Latin. Heute findet man die größte Konzentration von Kinosälen in Montparnasse“, berichtet Jean-Michel Frodon.

Durch dieses dichte Netz an Kinosälen – unabhängig oder Teil von größeren oder kleineren Ketten – bietet die Stadt Paris nicht weniger als 400 verschiedene Filme pro Woche an und lässt so Raum für zahlreiche Produktionen abseits der großen Blockbuster. „Paris ist ein endloses Filmfestival und eine unendliche Feier der siebten Kunst“, schreibt Dina Iordanova, Professorin an der University of St Andrews, in ihrem Buch „Cinemas of Paris“. Dieses vielfältige Angebot wird durch die Existenz einer großen Zahl an Filmklubs und thematischen Festivals wie dem türkischen Filmfestival oder dem Festival des deutschen Films noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund halten es viele für unnötig, ein internationales Pariser Filmfestival nach dem Vorbild der Filmfestspiele in Cannes oder der Berlinale zu schaffen. Zwar gab es in der Vergangenheit zwei Veranstaltungen dieser Art (Festival du film de Paris von 1986 bis 2002 und Paris Cinéma von 2003 bis 2014), doch werden sie heute nicht mehr weitergeführt.

„Die Corona-Pandemie war eine Krise der Besucherzahlen, aber keine der Kinosäle“

Neben den Kinos selbst gehören Institutionen wie die Fondation Pathé zu wichtigen Orten, die Paris zur „Hauptstadt des Kinos“ machen © Ausparis.de
Neben den Kinos selbst gehören Institutionen wie die Fondation Pathé zu wichtigen Orten, die Paris zur „Hauptstadt des Kinos“ machen © Ausparis.de

Mit der im Corona-Lockdown erzwungenen Schließung der Kinos gab es viele Befürchtungen über das Überleben der kleineren Kinos in der Stadt. „Die Corona-Pandemie war eine Krise der Besucherzahlen, aber keine der Kinosäle“, stellt Frodon klar. Die zahlreichen von öffentlicher Hand bereitgestellten Hilfen haben es den meisten Kinobetreibern ermöglicht, die Zeit ohne größere Schäden zu überstehen. Dies galt zwar für ganz Frankreich, war aber in der Hauptstadt besonders ausgeprägt. Seit Anfang der 2000er-Jahre begleitet die Stadtverwaltung von Paris mit der „Mission Cinéma“ die lokale Filmszene sehr intensiv. 2022 investierte die Stadt beispielsweise 895.000 Euro der Betriebskostenzuschüsse in 34 Kinosäle.

Neben den Kinos, Filmklubs und Festivals „gibt es in Paris noch andere wichtige Orte für das Kino“, sagt Jean-Michel Frodon: Das Forum des Images, das zur Aufbewahrung audiovisueller Archive über die Stadt Paris gegründet wurde, die Cinémathèque, die sich der Geschichte des Weltkinos widmet, oder die Fondation Pathé, die die Archive der gleichnamigen Produktionsfirma aufbewahrt, sind nur einige der vertretenen Institutionen. Hinzu kommen die Museen Louvre, Orsay oder das Centre Pompidou, die regelmäßig Veranstaltungen rund um das Kino organisieren. „In Paris gibt es immer eine oder mehrere Ausstellungen, die dem Kino gewidmet sind, an jedem beliebigen Tag im Jahr“, freut sich Frodon. Ein Angebot, das die Worte von Dina Iordanova bestätigt: „In dieser Stadt hat das Kino einen besonderen Status, es wird hier mehr verehrt als irgendwo sonst.“

Melde dich an, um keine Infos aus Paris zu verpassen!

Auch interessant:

Vor allem im 10. und 13. Arrondissement hat sich die indische Community niedergelassen © Aus Paris

Von Little India nach Little Jaffna

In den 1970er-Jahren sind viele Menschen aus Südasien nach Frankreich und insbesondere nach Paris gekommen. Auch wenn sie nicht mehr in der Hauptstadt wohnen, besuchen sie weiterhin die zahlreichen asiatischen Supermärkte, Geschäfte und Restaurants der Passage Brady, der Rue Faubourg Saint-Denis und des Viertels La Chapelle. Während Indien das Gastland Frankreichs anlässlich des Nationalfeiertags war, haben wir uns dort umgesehen…

Mehr lesen »

Street Art in Paris: „Ein Museum unter freiem Himmel“

Der ehemalige Journalist und Werbefilmer Claude Degoutte begleitet die Pariser Street-Art-Szene seit ihren Anfängen mit seiner Kamera. Als Autor mehrerer Bücher, in denen er seine zahlreichen Fotografien zusammenfasst, durchstreift er die Hauptstadt immer wieder auf der Suche nach neuen Kunstwerken. Wir haben ihn anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Buches „Paris Street-Art: La mémoire des lieux“ getroffen, das im Verlag Omniscience erschienen ist…

Mehr lesen »