„In einigen Tagen wird es kein Traum mehr sein, Paris mit dem Auto zu umrunden, ohne auf eine einzige rote Ampel zu stoßen“, schwärmte ein Nachrichtensprecher am 14. April 1973. Zehn Tage später war der letzte Abschnitt der Schnellstraße rund um die französische Hauptstadt fertiggestellt: Die „Périphérique“ war offiziell geboren. Ein damaliger Kommentator freute sich über die „beste aller möglichen Welten“ in Form eines 35 Kilometer langen Rings mit durchschnittlich vier Fahrspuren und nicht weniger als 148 Brücken, 23 Tunneln und sechs Autobahnkreuzen.
Zwar feierte dieser Gigant in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag, doch war ihm keine pompöser Feier vergönnt. Die Ringautobahn mit ihren zahlreichen Belastungen – Lärmbelästigung, Gesundheitsrisiken und Umweltschäden – entspricht nämlich nicht mehr dem Zeitgeist. Anstelle einer Party startete die Stadt Paris eine Bürgerbefragung, um über die Zukunft der „Périph’“ nachzudenken. Bis zum 28. Mai können die Einwohner und Autofahrer online darüber abstimmen, ob eine Spur für den öffentlichen Verkehr, Taxis und Fahrgemeinschaften reserviert werden soll.
Im Falle einer Genehmigung soll diese Vorkehrung, die zunächst während der Olympischen Spiele 2024 getestet werden soll, dauerhaft eingeführt werden. Ziel ist es, die Zahl der Fahrzeuge auf der Ringstraße von über einer Million auf 800.000 Fahrzeuge pro Tag zu reduzieren. Laut der Stadtverwaltung wird dies „die Luftqualität verbessern, die Lärmbelästigung verringern, Staus auflösen, den Kraftstoffverbrauch sowie die Ausgaben der Haushalte senken“. Eine Maßnahme, die auch mit einer Reduzierung der zulässigen Geschwindigkeit von derzeit 90 km/h auf 50 km/h einhergehen könnte.
Dieser Vorschlag ist nicht der erste, den sich die Behörden zur Veränderung des „Monsters“ ausgedacht haben. Seit der Entstehung der Ringstraße wurden verschiedene Lösungen – wie eine teilweise Überdachung, die Umwandlung in einen städtischen Boulevard oder die Einführung einer Mautgebühr – überlegt, um die Störfaktoren zu bekämpfen und den Verkehr zu reduzieren. Obwohl die Ringautobahn ab 1956 mit dem Ziel gebaut wurde, das Pariser Zentrum zu entlasten und den durch das Bevölkerungswachstum verursachten Anstieg des Verkehrsaufkommens – zwischen 1954 und 1968 kamen mehr als zwei Millionen Einwohner hinzu – zu bewältigen, haben sich bereits kurz nach ihrer Eröffnung Autos gestaut, wie das Team des deutschen Magazins „Flaneur“ in seiner neuesten Ausgabe berichtet.
Heute wird die Schnellstraße eher wegen ihrer Einschränkungen und ihrer zerschneidenden Wirkung auf den städtischen Raum wahrgenommen – „passer le périph’“ ist für viele Pariser immer noch ein Abenteuer. Außerdem markiert sie bis heute die Grenze zwischen Paris und seiner eher gering geschätzten Vorstädte, den Banlieues. In den 1960-er Jahren hingegen stand sie für „Modernität“ und „die Aufwertung der Innovation, wobei das Auto einer der wichtigsten Vektoren war“, erinnert der Historiker Mathieu Flonneau. Unter der Leitung des hohen Beamten Paul Delouvrier „wird die Ringautobahn für Paris zu einer der größten Umwälzungen seit den großen Arbeiten Haussmanns“, schreibt Flonneau in der Revue „Vingtième Siècle“. Aus dieser Perspektive gesehen „hatte die Tatsache, dass man sich in der Stadt bewegen konnte, selbst wenn man sie teilweise zerstörte, Vorrang vor allen anderen Überlegungen“.
Dieser „Auto-Urbanismus“ wurde insbesondere auf Kosten der Bevölkerung umgesetzt, die dort lebte, wo die Ringstraße gebaut werden sollte. Entlang der Stadtmauer, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet und von einem 250 Meter breiten Streifen begleitet wurde, hatten sich die Menschen angesiedelt, obwohl das Gebiet offiziell nicht bebaubar war.
Diese „Zone“, wie sie später genannt wurde, beherbergte mehrere Jahrzehnte lang das „Lumpenproletariat“, das durch die Arbeiten von Baron Haussmann aus Paris vertrieben worden war. Laut dem Historiker Jérôme Beauchez — Autor des Buchs „Les sauvages de la civilisation“, das sich mit dem Thema beschäftigt — war diese „Pariser Unterwelt die bittere Frucht einer Moderne, die hier all ihr Elend abgeladen hatte“. Eine Abschreckung für die Pariser Bourgeoisie, die in dieser Gegend „eine Art Hauptstadt der ,gefährlichen Klassen’“ sah. Der berühmte Fotograf Eugène Atget hiel die Gegend damals auf Bildern fest. „Die typische Bevölkerung der Zone waren die Lumpensammler, die den Müll der Stadt wegbrachten und sammelten“, so Beauchez gegenüber Aus Paris.
Auch wenn der Bau der Ringstraße das Ende der Zone bedeutete, hatte ihr Verschwinden schon lange vorher begonnen. „Der Abbau begann in den 1920-er Jahren, wurde in den 1930-er Jahren etwas beschleunigt, erlebte aber unter der kollaborierenden Vichy-Regierung eine beispiellose Aktivität, insbesondere durch die Deportation der Zigeuner, die dort lebten. Als die Arbeiten an der Ringstraße begannen, gab es in dem Gebiet nur noch wenige Wohnhäuser“, erklärt Jérôme Beauchez.
Auch wenn die Umgehungsstraße diese Bevölkerungsgruppe, die die Stadt nicht sehen wollte, vertrieben hatte, führte sie nicht zu einer Aufwertung des Gebiets. Neben den positiven Äußerungen über das Auto war die Ästhetik der Périphérique bei ihrer Entstehung nicht unumstritten. Die Werbebranche nutzte diese „Hässlichkeit“, um die Ränder der Ringstraße mit Leuchtwerbung zu überfluten, die – anders als in London oder New York, die noch heute für den Piccadilly Circus oder den Times Square bekannt sind – das Stadtzentrum verlassen musste.
Heute steht die Verschönerung der Ringstraße wieder auf der Tagesordnung. Die Schaffung eines „Grüngürtels“ mit Überdachung an bestimmten Stellen, wird von einigen Verantwortlichen ins Gespräch gebracht. Eine Idee, die bereits erwähnt wurde, als die „Zone“ noch existierte, beeinflusst von den hygienischen Ideen der damaligen Zeit. Auch wenn sich der Kontext geändert hat, könnte die Schaffung dieses „Grüngürtels“ die Gelegenheit bieten, eine neue Art der Stadtplanung einzuführen: „Eine Stadtplanung, die darin besteht, von oben gedachte Pläne zu erschaffen, die der Bevölkerung aufgezwungen werden, funktioniert nicht. Die Geschichte des Gebiets zeigt, dass wir dort Zwischenräume hatten, in denen sich eine Vielzahl gescheiterter städtischer Utopien konzentrierten. Dasselbe gilt heute für die Pariser Vorstädte, die oft auf ihre Schädlichkeit und Probleme reduziert werden. Wenn man ihre Bewohner in die Überlegungen einbezieht, könnte die Zerstörung von Lebensräumen, die eine soziale Bedeutung haben, verhindert werden“, so Jérôme Beauchez abschließend.