Auf dem Kühlschrank schläft Minou, unbeeindruckt von den Geräuschen seiner Umgebung. Der achtjährige Kater ist ein bekanntes Gesicht im Supermarkt „Velan“, der nur wenige Schritte vom Gare de l’Est entfernt liegt. Hier treffen sich die indische Gemeinschaft und Liebhaber asiatischer Aromen, um Gewürze, große Säcke Reis, Schmuck, Räucherstäbchen und religiöse Accessoires zu kaufen.
Der Supermarkt befindet sich in der Brady-Passage, in der es viele weitere indische Restaurants, Geschäfte und Schönheitssalons gibt, und geht auf die Mitte der 1970er Jahre zurück. Sein Gründer, Antoine Ponnoussamy, war ein katholischer Inder aus Pondichery, einer ehemaligen französischen Kolonie, wo er als Koch des französischen Botschafters tätig war. Zwar verstarb er 2017 – eine Tafel erinnert noch immer an ihn –, doch der Laden blieb in den Händen seiner Familie. Als wir ihn besuchen, steht seine Tochter Delia an der Kasse.
„Etwa zehn Jahre lang befand sich unser Geschäft am Eingang der Brady-Passage. Um zu expandieren, konnte mein Vater diesen Laden, eine ehemalige Wäscherei, günstig erwerben“, erzählt sie. Im Laufe der Jahre haben sich die Brady-Passage und die angrenzende Straße Faubourg Saint-Denis als Hochburg der indischen und südasiatischen Gemeinschaft in der französischen Hauptstadt etabliert und werden seit den 1990er-Jahren von den Medien als „Indiatown“ oder „Little India“ bezeichnet.
Treffpunkt und Ort der Solidarität
„Die Präsenz von Bevölkerungsgruppen südasiatischer Herkunft in Frankreich ist zwar kein neues Phänomen, entwickelt sich aber vor allem seit den 1970er-Jahren“, schreibt der Forscher Delon Madavan, Mitglied des Centre d’études et de recherche sur l’Inde, l’Asie du Sud et sa diaspora (Zentrum für Studien und Forschung über Indien, Südasien und seine Diaspora). Die Migration kam zunächst aus den ehemaligen von Frankreich kolonisierten Gebieten und weitete sich nach und nach auf Bevölkerungsgruppen aus ehemals von den Briten kolonisierten Regionen des Subkontinents wie Sri Lanka, Indien, Pakistan oder Bangladesch aus. „Die Verschärfung der Einwanderungsgesetze in Großbritannien seit 1962, um den Zustrom von Migranten aus dem Commonwealth zu reduzieren, [zwang] die Bevölkerungen des indischen Subkontinents, sich nach anderen Zielen umzusehen“, betont der Forscher.
Während die ersten Ankömmlinge sich in Wohnungen und kleinen Hotels in Paris niederließen, verlagerte sich ihr Wohnort allmählich aus der Hauptstadt heraus. Dennoch dienen das 10. und 18. Arrondissement der Stadt weiterhin als Treffpunkt und Ort der Solidarität für die indische Gemeinschaft.
In der Nähe des Gare de l’Ests, wo sie sich mit Menschen aus der Türkei und dem subsaharischen Afrika mischt, besteht diese Gemeinschaft hauptsächlich aus Leuten, die aus Nordindien, Pakistan, Bangladesch und Mauritius stammen. Wenn man jedoch zum Gare du Nord und weiter in den Stadtteil La Chapelle hinaufgeht, ändert sich die Stimmung. Wir befinden uns nun in „Little Jaffna“, benannt nach der Hauptstadt der nördlichen Provinz Sri Lankas.
Ältester Tempel ist Ganesha gewidmet
Auch hier finden wir Restaurants, Sari- oder Videoläden, Übersetzungsbüros oder Supermärkte – wie den beliebten VS-CO –, die sich an die gesamte südasiatische Gemeinschaft richten. Im Gegensatz dazu ist die tamilische Präsenz aus Sri Lanka hier vorherrschend mit einer viel stärkeren „politischen Funktion“ als in „Little India“, wie Delon Madavan erklärt.
Das Porträt eines Mannes in einer Militäruniform auf der Vorderseite eines Geschäfts fällt uns auf. Wir fragen einen Angestellten, um wen es sich handelt. „Das ist der Anführer“, antwortet er. Eine schnelle Internetrecherche ergibt, dass es sich um Velupillai Prabhakaran handelt, den ehemaligen Führer der Tamil Tigers, einer bewaffneten Bewegung für die Unabhängigkeit der Tamilen in der nordöstlichen Provinz Sri Lankas.
In „Little Jaffna“ ist auch die religiöse Dimension stärker ausgeprägt, da es hier mehrere hinduistische Tempel gibt. Der älteste ist der 1985 gegründete Sri-Manicka-Tempel, der dem elefantenköpfigen Gott Ganesha gewidmet ist. Von außen lässt die sehr schlichte Fassade nicht vermuten, dass sich in dieser relativ ruhigen Parallelstraße ein Tempel befindet. Doch das an diesem Samstag geöffnete Tor zeigt einen großen Raum, der mit einer reichen Dekoration, zahlreichen Skulpturen und Opfergaben ausgestattet ist. Wir gehen nicht hinein, um die vielen Gläubigen nicht zu stören, nehmen uns aber vor, an der großen jährlich stattfindenden Parade teilzunehmen, bei der jedes Mal mehrere Tausend Menschen dabei sind. Dieses Jahr findet sie am 27. August statt.